T. Herzig: Art, Crime, and Jewish Apostasy in Renaissance Italy

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Titel
A Convert’s Tale. Art, Crime, and Jewish Apostasy in Renaissance Italy


Autor(en)
Herzig, Tamar
Reihe
I Tatti Studies in Italian Renaissance History
Erschienen
Cambridge 2019: Harvard University Press
Anzahl Seiten
388 S.
von
Georg Modestin, Fachschaft Geschichte, Kantonsschule Freudenberg (Zürich)

Die in Tel Aviv lehrende Mediävistin Tamar Herzig besitzt die beneidenswerte Gabe, fesselnde Thematiken aufzuspüren und diese in breitere kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge einzubetten. Ein Ausgangspunkt ihrer Explorationen ist der Renaissance-Hof von Ferrara, wo der Herzog Ercole I. d’Este beispielsweise die visionäre Dominikaner-Terziarin Lucia Brocadelli empfing und eine schützende Hand über sie hielt. Die in ihrer Zeit als lebende Heilige verehrte Stigmatikerin erscheint auch in Herzigs neuster Monographie, allerdings in einer Nebenrolle: Am 5. August 1501 bezog Brocadelli mit ihren Mitschwestern ein neues, von Herzog Ercole erbautes Konventsgebäude. Teil der Zeremonie war die Aufnahme von Novizinnen, darunter Caterina, die Tochter eines jüdischen Goldschmieds, welcher zehn Jahre zuvor in Ferrara getauft worden war, und die nach Ablauf eines Jahres als Schwester Theodora ihre Gelübde ablegte. Dieser Goldschmied, Salomone da Sesso, der nach seiner Konversion zu Ehren seines herzoglichen Gönners den Namen Ercole de’ Fedeli annahm, steht – zusammen mit seiner Familie – im Zentrum von A Convert’s Tale. Um seine persönliche Geschichte gestaltet die Verfasserin ein weites Panorama, in dem es vor allem um jüdisches Leben in Italien in der Zeit der Renaissance geht, um – je nach Perspektive – Konversion oder Apostasie und nicht zuletzt um das von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägte Verhältnis zwischen Künstler und Auftraggeber bzw. Patron, im gegebenen Fall auch Auftraggeberin oder Patronin.
Salomone/Ercole ist kein Unbekannter: Sein Ruf als Goldschmied beruht auf kunstvoll gravierten Prachtschwertern, während seine anderen Arbeiten, in erster Linie Schmuckgegenstände und Modeaccessoires wie goldene Knöpfe oder Fächer, längst wieder eingeschmolzen sind. Aufgrund ihrer Vertrautheit mit bislang unverwendeten handschriftlichen Quellen gelingt es Tamar Herzig, die (Familien-)Geschichte von Salomone/Ercole ungleich präziser nachzuzeichnen, als dies bislang der Fall war. Der Protagonist trat aus den väterlichen Fussstapfen heraus, indem er das Gewerbe wechselte, weg von der Geldleihe, hin zum Handwerk. Wo er die Kunst erlernte, für die er bis heute bekannt ist, lässt sich nicht mehr eruieren – die Verfasserin ist in dieser Hinsicht auf ein Prozedere angewiesen, für das es einen schönen englischen Ausdruck gibt: «educated guesses». Angesichts der dunkeln Stellen in Salomones/Ercoles Biographie, die selbst Herzigs Quellenstudien nicht völlig auszuleuchten vermochten, wird dieser Ansatz noch weitere Male zum Zuge kommen.
Bereits in jungen Jahren war Salomone verschuldet – eine Konstante, die ihm in fortgeschrittenem Alter viel Ungemach einbringen sollte. Seinen Lebensmittelpunkt fand er in Ferrara, wo der in Florenz Geborene und in Bologna Aufgewachsene zum bevorzugten Goldschmied der Herzogin Eleonora von Aragon, der Ehefrau Herzog Ercoles I. d’Este, aufstieg und in dieser Stellung bis zu Eleonoras Tod im Jahr 1493 verblieb. Das prägende Ereignis von Salomones Erwachsenenleben war zweifellos seine öffentliche Konversion am 9. Oktober 1491 in der Kathedrale von Ferrara im Beisein seiner fürstlichen Gönnerin. Die Umstände, die den Goldschmied zu diesem Schritt veranlasst haben mochten, sind nicht ganz geklärt. Salomones Biographin verfolgt in dieser Frage verschiedene Fährten, die u. a. nach Mantua führen, wo Eleonoras Tochter Isabella d’Este, eine weitere regelmässige Klientin des Goldschmieds, als Ehefrau des örtlichen Herrschers Francesco Gon¬zaga residierte – doch brauchen wir diesen Spuren hier nicht im Detail nachzugehen. Sicher scheint einzig, dass die Konversion mit einer Anklage wegen Sodomie, d. h. Homosexualität, zu tun hatte, in deren Folge Salomone verhaftet und eingekerkert wurde. In einem Schreiben Eleonoras an ihre Tochter vom 10. September 1491 heisst es, «Salomone der Jude, unser [d. h. Eleonoras] Goldschmied», sei «wegen Sodomie und anderen schlechten Dingen» im Gefängnis. «Seinen Irrtum anerkennend, habe der vorgenannte Salomone Reue gezeigt und sich entschieden, ein Christ zu werden». Die Entscheidung, sich taufen zu lassen, wird durch die Aussicht auf eine fürstliche Begnadigung beeinflusst worden sein, wobei die Gründe für Salomones Probleme mit der Justiz, wie bereits erwähnt, ungeklärt sind. Gemäss Salomone/Ercole selbst sollen Juden aus Mantua daran nicht schuldlos gewesen sein, was – träfe dieser Vorwurf zu – für eine Instrumentalisierung der Justiz bei Auseinandersetzung innerhalb der jüdischen Gemeinden sprechen würde. Wie dem auch sei, die Bekehrung «ihres» jüdischen Goldschmieds war ganz im Sinne seiner Patronin, der Herzogin von Ferrara, die sich aktiv um seine Begnadigung bemühte. Zusammen mit Salomone/Ercole wurde auch dessen erstgeborener Sohn Alfonso, benannt nach Herzog Ercoles und Herzogin Eleonoras ältestem Sohn, getauft, während Salomone/Ercoles Ehefrau Eleonora (!) und die übrigen Kinder folgten. Zwei dieser Kinder wurden auf besondere Weise vom Ferrareser Herrscherhaus unterstützt: Im Fall von Salomone/Ercoles Tochter Caterina/Theodora kam es für die für den Klostereintritt als Chorschwester benötigte Mitgift auf; Caterinas jüngere Schwester Anna wurde 1502 als Gesellschafterin von Lucrezia Borgia am Hof aufgenommen, der zweiten Ehefrau von Herzog Ercoles Sohn und Nachfolger Alfonso. Diese Berufung war insofern auch finanziell vorteilhaft, als die Herrin für die Mitgift ihrer donzelle besorgt war und ihnen so eine Heirat ermöglichte. Bezeichnenderweise war eine solche den drei nachgeborenen Töchtern des Goldschmieds verwehrt.
Letzterer stand einer Familienwerkstatt vor, in welcher er seine beiden Söhne Alfonso und Ferrante ausbildete. Als bewunderter Handwerker bediente er eine adelige Kundschaft, wobei der Makel des Spätkonvertiten lange an ihm haften blieb. Eine stete Spannungsquelle war seine Säumigkeit, die ihn wiederholt Ablieferungstermine verstreichen liess. Insbesondere die Korrespondenz von Isabella d’Este, der in Mantua residierenden Tochter von Salomones/Ercoles Patronin Eleonora von Aragon, mit ihren Gewährsleuten in Ferrara, in der es um verpasste Fertigungstermine geht, füllt Bände. Nach dem Ableben Eleonoras von Aragon im Jahr 1493 wurden deren Tochter Isabella d’Este und die Schwiegertochter Lucrezia Borgia zu Salomones/Ercoles Hauptabnehmerinnen. Lucrezias Tod im Jahr 1519 brachte die Goldschmiedewerkstatt in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten, die durch die Auswirkungen der Italienischen Kriege zusätzlich akzentuiert wurden. Aus finanzieller Not heraus beging Salomone/Ercole einen Kardinalfehler, der ihn seiner letzten Patronin entfremdete: Er versetzte nämlich unvollendete Werkstücke, die Isabella d’Este in Auftrag gegeben hatte, bei einem jüdischen Pfandleiher, was der erzürnten Isabella zu Ohren kam. Salomone/Ercole und sein Sohn Ferrante hatten sich in der Zwischenzeit auf der Suche nach einem Auskommen abgesetzt, so dass die Herrscherin von Mantua nur auf Ferrantes Bruder Alfonso zurückgreifen konnte, der auf ihr Geheiss von ihrem Bruder, Herzog Alfonso d’Este, in Ferrara eingekerkert wurde. Das letzte Quellenstück, das über die Familie Auskunft gibt, ist eine auf den 2. März 1521 datierte Bittschrift, die Salomones/Ercoles Ehefrau Eleonora und deren Schwiegertochter Sapientia, Alfonsos Ehefrau, an Isabella richteten. Danach verstummen die Quellen bis ins Jahr 1534, als Ferrante nach Alfonso d’Estes Tod in Ferrara wieder als Goldschmied fassbar wird.
Tamar Herzig zeichnet ein detailreiches, farbiges Lebensbild aus RenaissanceItalien, das auf seine exemplarische Art zu einem ganzen Sittengemälde wird. Dabei werden Leerstellen in den Quellen vielleicht etwas zu bereitwillig mit Hypothesen überbrückt – das ist aber auch schon der einzige Einwand, den wir gegenüber diesem kurzweiligen und aufschlussreichen Buch anführen wollen.

Zitierweise:
Modestin, Georg: Rezension zu: Herzig, Tamar: A Convert’s Tale. Art, Crime, and Jewish Apostasy in Renaissance Italy (I Tatti Studies in Italian Renaissance History), Cambridge (Massachusetts)/London, 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 438-440. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

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